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Na also 1 bis 4

November 5, 2011 Hinterlasse einen Kommentar

Na also, der FC Bayern spielt auch in der Champions-League, wie von einem anderen Stern. Wie von einem nahezu unbewohnten Planeten, sehen wir mal von Barcelona ab und manchmal Madrid -vielleicht. Zumindest in der ersten Halbzeit gegen den SSC Neapel am Mittwoch. Das muss ich sagen, obwohl ich alles andere als ein Bayern-Fan bin. Schließlich halte ich diesen Club für ein überaus geeignetes Symbol/Synonym für den Neoliberalismus. Darum fällt mir dieses Urteil der Hochklassigkeit wirklich schwer, das wird mir jeder glauben. So, und dann kam die zweite Halbzeit und die erschreckende Überheblichkeit des Sat1-Kommentators Fuss („…der Cavani (ein neapolitanischer Offensivspieler) sollte uns bei Gelegenheit mal sagen, was er so beruflich macht…“), zeitgleich mit der Arroganz der Bayernspieler. Plötzlich stolperten nur noch rotzende, jammernde und wehleidige Rothemden auf dem Platz herum (heißt jetzt „ich versichere-und-bescheiße-dich-gleichermaßen-Arena“ – glaube ich?), immer ein bisschen zu spät, immer einen Schritt zu kurz. Was aber nichts machte, da der wortgewaltige Fuss am Ende doch eine positive Note vergeben konnte. Schließlich stimmte unter dem Strich die angeblich ach so bedeutungsvolle  Körpersprache (das Rotzen?) und der Sieg war verdient. So einfach ist das. Nein, der Bayern-Sieg ärgerte mich nicht wirklich und die zweite Halbzeit der Münchner sorgte nur begrenzt für Schadenfreude. Nein, mich nervt, dass die mit ihrer Arroganz durchkommen, dass sie bis und seit dem Manchester-Debakel immer mit diesem Glück, diesem Tor oder dem gegnerischen Abseits in der letzten Minute davon kommen. Und wir nicht ohne die saublöden Kommentare Beckenbauers, der wiederkäuend die Frage des keineswegs herausragenderen Interviewers Kerner als Antwort zum Besten gibt. Schlimmer macht es eigentlich nur noch Henry Maske als Boxexperte, der seine intellektuellen Einschränkungen, immerhin als wahrscheinliches Ergebnis einer überdurchschnittlich gesundheitsgefährdenden Berufsausübung in der Vergangenheit, öffentlich-rechtlich zur Schau stellen darf. Keineswegs nur Fragmente einer zunehmend dümmlicher werdenden TV-Berichterstattung – egal, ob beim Sport oder sonstwie gesellschaftlich-wirtschaftlich-politisch.

Na also 2: Erleichtert darf ich feststellen, dass ich nicht alleine bin mit meiner Wahrnehmung. Das Übel des Neoliberalismus, das ich anprangere, wo immer ich seine Wirkungen und Auswirkungen zu sehen und zu vernehmen meine, sehe ich nicht alleine als Gefahr:

http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/november/das-lange-leben-des-neoliberalismus

Es entlastet mich sehr, wenn ich feststelle, dass ich mit meinen Sorgen, Gedanken und Konklusionen nicht der einsame Rufer in der Wüste bin. Das Übel wird so selten beim Namen genannt. Ein bisschen ist es, wie bei Harry Potter: … der, du weißt schon wer … . Der, über den mensch nicht spricht, schleicht/schleimt sich mit Hilfe seiner humanistisch-freiheitlichen klingenden Vokabeln in die Herzen der Menschen und bewirkt daselbst die Eiseskälte wettbewerbsorientierter, maximalgewinnstrebender Sozialauslese. Das ist nicht lustig, das ist gesellschafts- und demokratie-gefährdend! Ich habe noch keine rechte Erklärung für den Erfolg einer Glaubensrichtung, die neben ihrer Inhumanität auffallend strotzt vor logischen Fehlern und gedanklichen Ungereimtheiten und Widersprüchen. Aber möglicherweise ist es genau dieses religiöse Flair in Verbindung mit der scheinbar allumfassenden Kompatibilität, die den Neoliberalismus so erfolgreich macht. Wie dem auch sei, oben genannter Artikel sei hiermit herzblutend empfohlen.

Na also 3: Alle Jahre wieder stellen die Medien die Sozialdemokratisierung der CDU fest. Mal abgesehen davon, dass die regelmäßige, ja penetrante Wiederholung des Immergleichen ebenso falsch, wie lästig ist, unterschätzt sie auch die Intelligenz der Rezipienten. Der Mindestlohn ist doch kein Copyrightprodukt der Sozialdemokraten. Dafür kann mensch handfeste, rationale, selbst wirtschaftliche Argumente ins Feld führen. Was viele Arbeitgeber und manche Arbeitgeberverbände auch tun. Frau Merkel macht Wahlkampf. So einfach ist die Erklärung des Kurswechsels der Kanzlerin. Wie beim Atomausstieg. Es geht vor allem darum, der SPD das Wasser für ihr Weideland abzugraben. Und selbst, wenn das nicht gelingen sollte, so signalisiert die CDU-Vorsitzende dem Wähler und der SPD Koalitionsfähigkeit. In diese Richtung weist auch die Steinbrück-als-Kanzler-Kampagne der einschlägigen Medien. Die Besetzung der CDU-Themen durch Schröder und Konsorten hat die SPD verwundbar und angreifbar gemacht für die Besetzung ihrer ureigenen Themen durch die CDU. Und hat sie ebenso dauerhaft, wie verdient zum Juniorpartner degradiert. Die SPD, die den Mindestlohn in der letzten Legislaturperiode mit den Stimmen der Grünen und der Linken hätte implementieren können und es nicht getan hat, etabliert sich mit ihrer definite-maybe-Strategie als die Partei der vertanen Chancen. So langsam habe ich kein Mitleid mehr mit ihr.

Na also 4: Die Ankündigung des griechischen Ministerpräsidenten Papandreu eine Volksabstimmung über die nächste Folge der Griechenlandrettungendlossoap durchzuführen machte vor allen Dingen eines deutlich: Die Märkte – und das sind in erster Linie die Finanzinstitute – bestimmen, wo es lang geht. Nicht die Politik. Papandreus Einknicken, seine Zurücknahme der Ankündigung, ist die fette Bestätigung dieser Behauptung. Nur zur Erinnerung ein paar Stichworte: Die Geldhäuser dieser Welt hatten über ihre Verhältnisse gezockt und mussten 2007ff. mit dem Geld des kleinen Mannes und der kleinen Frau an den Haaren aus dem Sumpf gezogen werden. Das traf Griechenland in ähnlicher Form, wie andere „hochentwickelte“ Länder auch. (Sicher gab es auch nationale Besonderheiten daselbst: Die exorbitant hohen Militärausgaben – von denen vor allem Deutschland profitierte! -, ein besonders gut funktionierender „Lobbyismus“ etc.). Der Staatshaushalt kam dennoch in Schwierigkeiten. Jetzt sollen es erneut der kleine Mann und die kleine Frau richten und kein Geld mehr ausgeben. Ich habe es schon öfter herausgestellt. Jedes Kind begreift diesen Saltomortale. Die Einkommen sinken, die Steuern werden erhöht. Der Konsum geht zurück. Das bedeutet sinkende Einkommen, geringere Steuereinnahmen, Konsumrückgang. Das wiederum bedeutet Verringerung der Einkommen und der Steuereinnahmen und in der Folge einen verminderten Konsum. Ein Referendum hätte diesen Teufelskreis durchbrochen! Zum Schaden der Banken. Das wollen wir nicht verschweigen. Deshalb gibt es kein Referendum! Sondern ein ordentliches Sparpaket mit sinkenden Einkommen und sinkenden Steuereinnahmen … (da capo al fine). Die Rettungspakete für Griechenland, die seit 2010 verschnürt werden, hatten von Anfang an kein Konzept. Es ging immer nur um die kurzfristige, ja hektische Beruhigung der heiligen Märkte. Der durchfallartige Schiss vor den Anlegern (klingt nach kleinem Mann, sind aber in Wirklichkeit die großen Banken!) verhinderte die Entwicklung eines weitsichtigen und erfolgsversprechenden Plans. Planungs- oder Zukunftskompetenz? Fehlanzeige. Weder bei Sarkozy, und schon gar nicht bei Merkel und ihrem Baywatchteam. Dieser ganze Mist wäre ja noch auszuhalten, wenn sie uns dabei nicht permanent belügen würden, Kleinigkeiten aufblasen bis zum Zerplatzen und Bedeutsames einfach unter den Tisch fallen lassen. So schaffen sie Politikverdrossenheit – nicht nur in Griechenland. Und dagegen kann ein Referendum helfen – nicht nur in Griechenland.

Kategorien:Jigsaw

Occupy what ?

Oktober 29, 2011 Hinterlasse einen Kommentar

„ Herr Kapitän, Herr Kapitän, das Schiff sinkt!“, so der Passagier, der sich auf die Brücke gewagt hat. Die lapidare Antwort des Captains: „Na und! Ist es ihr Schiff?“ (ich glaube, dass ist ein alte Klamotte von Otto Waalkes, bin mir aber nicht sicher).

Wieder mal bin ich maximal pessimistisch. Wieso? Ich will meine Leser nach 5 Wochen Schweigen (aus unterschiedlichen Gründen) nicht länger auf die Folter spannen: Weil sich unser Zivilisationsschiff nach wie vor schnurgeradewegs auf Kurs „Endziel Neoliberalismus“ befindet. Der Gipfel von Brüssel hat zweierlei deutlich gemacht:

  1. Die Politiker wissen, dass sie zur Rettung der sozialen Balance Griechenlands in der Vergangenheit untaugliche Instrumente angewandt haben.
  2. Sie wenden sie weiter an.

Es gibt keine Abkehr von der neoliberalen Dreifaltigkeit (Sparsamkeit, Privatisierung, Sozialabbau), wie evident der Irrtum auch erscheinen mag. Um es noch mal deutlich zu sagen: Es ist kein Irrtum, es ist Absicht. Die Umverteilung von unten nach oben ist und bleibt in vollem Gange. Griechenland ist nicht der europäische Betriebsunfall, Griechenland ist der Sandsack, an dem der neoliberale Boxer seine Schlaghärte trainiert. Griechenland heute ist das Chile von gestern. Sicher, der Neoliberalismus hat die eine oder andere Schwäche gezeigt. Blinde Flecken gab es, Wünsche nach mehr Konsistenz. Na und? Jetzt wird kurzerhand die Dosis erhöht. Das stört niemanden.

Ja, aber es gibt doch die Occupy-Bewegung. Was? Wer bewegt sich? Wohin? Wer wird in Anspruch genommen oder besetzt? Die Wallstreet? Dass ich nicht lache. Nichts passiert, um dem Schiff einen anderen Kurs aufzuzwingen. Nichts passiert, rein gar nichts, um die Umverteilung zu stoppen. Von einer Umkehrung will ich gar nicht erst phantasieren. Um das mal deutlich zu sagen: Die letztverbliebene parlamentarische Opposition (ohne jeden Einfluss!) ist „Die Linke“, eine ausserparlamentarische Opposition existiert de facto nicht (die paar Blogger – schön, dass es uns gibt! -, die die Fahne scheinbar noch hochhalten, sind von erschreckender Wirkungslosigkeit). Der Kollisionskurs mit den Eisbergen ist vorprogrammiert. Wer überlebte noch mal den Titanic-Untergang? Die Occupy-Bewegung? Die was? Die findet nicht mal Eingang in die kritischsten Geschichtsbücher. Wetten?

Wie konnte es soweit kommen? Wie konnte der Neoliberalismus derart penetrant an Dominanz gewinnen? Eine Hauptverantwortung tragen die Medien, der Journalismus. Und warum? Da war Walter Lippmann, einer der Begründer des Neoliberalismus, ein Journalist und hat Grundsätze des Journalismus gebraucht, um neoliberale Glaubenssätze zu verankern: Wettbewerb selektiert die Besten nach oben (was ein Quatsch ist!), jeder ist für sich selbst verantwortlich (was stimmt und auch nicht stimmt, schließlich sind wir soziale Wesen – oder sollten es sein!), Massen lassen sich durch eine emotionalisierte Berichterstattung in die gewünschte Richtung beeinflussen – d.h.: Emotion kommt vor Logik und natürlichem Urteilsvermögen. Nichts anderes geschieht gegenwärtig.

Die ach so fünfte Gewalt macht sich schuldig. Sie ist schon lange nicht mehr die kritische Instanz, die den Politikern die Grenzen aufzeigt. Sie ist nur noch Büttel einer menschenverachtenden Politik. Die RAF hatte das erkannt und bekämpfte folgerichtig den Springer-Konzern und was er selbstherrlich ausspie. Ich betone, dass ich gegen Gewalt bin. Aber in diesem Zusammenhang war das die einzig richtige Handlungsweise. Das bräuchten wir heute: Eine Ablehnung der Berichterstattung, die die Kanzlerin als Heldin der Griechenlandrettung feiert, ein Verzicht auf die Meldungen, die uns die naturgegebene Dominanz der Märkte vermitteln wollen, eine Verneinung der Kommentare, die uns sagen wollen, dass wir (die Minderbemittelten) Verzicht leisten sollen, damit das neoliberale Konzept aufgeht, eine Zurückweisung der Charts, die uns eben nicht sagen, wer was besser macht, eine Weigerung zu glauben, was uns die Mächtigen zu glauben aufgeben. Die Wahrheit liegt nicht bei denen, die das Geld und die Macht haben. Die Wahrheit liegt bei denen, die auf ihren eigenen Kopf und auf ihr eigenes Herz hören. Es sind nicht mehr viele. Aber es gibt sie noch.

Ich bin so pessimistisch wie selten. Trotzdem: Ändere den Kurs, Captain! Sofort.

„Wir halten den Kurs, koste es was es wolle!“

Kategorien:Jigsaw

Bier und Diamanten

September 30, 2011 Hinterlasse einen Kommentar

Andromeda an den Felsen gekettet

von Gustave Doré, Bild ausgeliehen von: index.php (de.wikipedia.org, Stichwort ‚Andromeda‘)

Fragment einer wahren Geschichte, nur wenig ausgeschmückt. Tel Aviv im November, spät abends, irgendwo zwischen Allenby-Street und Strand, immer noch ziemlich warm. Nach einer verstörenden Vorgeschichte:

… Der Bierverkäufer am Kiosk lächelte vieldeutig und wissend. Ich hätte ihm am liebsten eins in die Fresse geschlagen, entschied mich aber für ein Bier.

– Shalom. Bestimmt bezahlst du mir auch ein Bier, hörte ich eine Stimme sagen.

Jetzt erst fiel mir diese alte unansehnliche Frau in diesem schrecklichen Fummel auf, die mich gerade angesprochen hatte. Sie hatte spärliches weißes Haar, war klein und unglaublich fett. Ihre weißen Füße quollen aus zerschlissenen Sandalen.

– Manche Dinge sollte ein Gentleman nicht tun. Aber einer durstigen Frau ein Bier ausgeben, das ist in Ordnung, glaube ich.

– Was meinen sie?

– Ist schon okay.

Ich wandte mich um:

– Mach der Frau ein Bier, so eins.

– So eins darfs doch sein, oder?

Sie nickte dankbar lächelnd.

– Ich heiße Erna.

– Ah, schöner Name, ich werde rx genannt.

– Du bist aber kein Israeli, nicht wahr?

Sie hob den Becher und nahm einen anständigen Schluck ohne mich aus den Augen zu verlieren.

– Nein, ich bin Isländer.,

log ich. Nicht zum ersten Mal, wenn es um meine Nationalität ging. (Mit der Wahl dieses Landes lag ich immer auf der richtigen Seite. Zum einen zweifelte aufgrund meiner äußeren Erscheinung niemand an meiner nordischen Herkunft, auf der anderen Seite war es äußerst unwahrscheinlich, dass mich jemand mit auswendig gelernten isländischen Sprachfetzen in Verlegenheit bringen konnte. Dagegen konnte ich, sollte mich jemand um eine Kostprobe dieser wunderschönen Sprache bitten, einfach ein paar Ortsnamen oder andere Punkte geografischer Gegebenheiten hersagen, was immer beeindruckte und als Beleg für die Kenntnis meiner virtuellen Muttersprache völlig ausreichte. Zudem war es mehr als unwahrscheinlich auf einen isländischen Landsmann zu treffen. Das ist mir auf meinen Reisen – außerhalb Islands – auch noch nie passiert. Island bietet außerdem (und vor allem in Israel) den unbestreitbaren Vorteil – und damit auch seine Bewohner – politisch völlig unverdächtig zu sein, ohne Vergangenheit, ohne aktuelle verdächtige Entwicklungen).

– Was machst du hier?

– Ich treffe Freunde.

– Gute Freunde?

– Geschäftsfreunde sozusagen.

– Zuerst hast du Freunde gesagt.

– Ja, und dann habe ich Geschäftsfreunde gesagt.

– Weil du nicht gemeint hast, was du gesagt hast?

– Nein, weil ich die Antwort kurz machen wollte. Ein gescheiterter Versuch, wie sich gerade herausstellt.

– Willst du mir mehr darüber sagen?

Ich wollte nicht. Die Fortsetzung des Scheiterns macht das Scheitern nicht ungeschehen und den Scheiternden nicht klüger, also wollte ich über etwas anderes reden, wenn das Biertrinken schon nicht reichte. Ich beschloss ihrer zweiten Absicht nachzugehen und sie über sich erzählen lassen.

Diese Erna passte zwar nicht in mein Bild der modernen israelischen Frau, ich fragte sie aber dennoch:

– Und du, bist du Israelin?

– Nein, ich bin aus Kalifornien. San Diego, USA.

Ich fand, sie sah nicht wie eine Touristin aus.

– Was machst du hier? Urlaub?

– Oh, nein, ich wurde beauftragt hierher zu kommen, antwortete sie geheimnisvoll.

Ach du Scheiße, dachte ich, eine Agentin, Geheimdienst, CIA, Mossat, meine Bilder des Anschlags von Vorgestern. Perfekte Tarnung, gleich zieht sie sich die Maske vom Gesicht, nimmt die Perücke ab, holt das Riesenkissen unter ihrem Fummel hervor und da steht Andromeda (vgl.: [http://de.wikipedia.org/wiki/Andromeda_(Mythologie)]. Der Felsen, an den Andromeda gefesselt wurde, soll sich vor Jaffa, unweit von Tel Aviv, befinden: der Andromeda-Felsen. Am Tag zuvor war ich dort gewesen.) – meine Phantasie deckte sich mit entsprechenden Filmszenen. Aber nein, wie sollte sie das mit den weißen, quellenden Füßen machen? Also fragte ich nach:

– Was ist das für ein Auftrag?

– Ich weiß es nicht, noch nicht.

– Du kennst deinen Auftrag nicht? Wer ist denn der Auftraggeber? Den kennst du doch?

– Nein, den kenne ich auch nicht. Ich weiß nicht, wer mich schickt.

– Aahach, es gibt einen Auftrag, den du nicht kennst und du weißt nicht von wem er kommt. Entschuldige, dass ich so penetrant nachfrage, aber wie kannst du dann davon wissen?

Das Gespräch begann einen erheblich merkwürdigeren Verlauf zu nehmen, als ich das hätte ahnen können. Inzwischen war das nächste Bier bestellt. Wie es aussah bekam ich allerdings ziemlich gute Geschichten für die paar Schekel.

– Nun, die Sache ist die, dass ich ein Medium bin.

Wir machten eine Pause und nahmen ein paar ordentliche Schlucke. Nun hatte ich wenigstens eine Ahnung, wohin die Reise ging. Doch keine Tarnung, das Outfit. Ich hätte es mir denken können. Eher Berufskleidung.

– Hhmm, ein Medium, eine Mittlerin also, eine Mittlerin zwischen zwei Welten. Kann man das so sagen?

– Ja, das ist gut formuliert.

Sie machte wieder eine Pause und hielt mir den leeren Plastikbecher unter die Nase.

– Ich habe diese Fähigkeit schon lange, fuhr sie fort. Ich kann aber nie sagen, wer da mit mir spricht. Ich höre die Botschaften aber sehr klar. Wenn ich ihnen folge, dann kann ich die bedeutensten Dinge tun, wichtige Sachen erledigen. Wenn ich den Stimmen nicht gehorche, dann geschieht meist etwas Schlimmes.

– Klingt sehr außergewöhnlich, fast dramatisch. Kannst du etwas mehr davon erzählen? Ich bin neugierig.

– Ja, ich kann dir Beispiele geben. Vielleicht hast du sogar schon von mir gehört. Ich war vor ein paar Jahren mal im amerikanischen Fernsehen.

Sie schaute mich fragend an. Ich reagierte nicht. Sie fuhr fort.

– Ich habe die Fähigkeit ausschließlich mit mentaler Kraft Diamanten zu spalten, die sich in einem anderen Raum befinden können. Dabei ist es ganz egal, wo sich dieser Raum befindet. In der Live-Sendung war es ein Zimmer im gleichen Gebäude. Es waren Notare und viele Kameras dabei, die alles genau aufgenommen und festgehalten haben. Ich habe mich konzentriert und mit mentaler Kraft diesen Diamanten in der Mitte geteilt. Es gab Millionen von Zeugen. Du glaubst mir nicht? Oder?

Ich hatte weder meine Kamera, noch einen Diamanten dabei. Insofern war es mir eigentlich egal, ob sie Edelsteine teilen konnte oder nicht. Der Sinn dieser Fähigkeit erschloss sich mir ohnehin nicht auf Anhieb.

– Ich glaube nicht an besonders viel, weißt du.

– Das kann ich mir gut vorstellen. An was glaubst du denn.

– Oh, ich glaube an Gefühle, vor allen Dingen an meine eigenen. Die Sache ist schön übersichtlich, was sich in näherer Zukunft sicher auch nicht ändern wird. Aber jetzt sag mal, für was das gut ist: Diamanten ohne Werkzeug zu zerteilen. Wofür kann man das nutzen, was hast du davon?

Ganz offensichtlich war sie von meinem Pragmatismus und meiner rationalen Skepsis nicht angetan. So wenig, wie von der Tatsache, dass ihr Becher schon seit geraumer Zeit nicht mehr gefüllt worden war. Ich vertrat nun allerdings die Meinung, dass sie ihre Fähigkeiten in diese Richtung weiterentwickeln sollte. Ich hatte meine Fähigkeit Bierbecher zu füllen jedenfalls lange genug unter Beweis gestellt. Jetzt war sie dran. Zunächst entstand allerdings eine weitere Pause.

– Man kann Menschen, die nicht glauben wollen, nicht zwingen zu glauben!,

stellte sie schließlich und eher beiläufig fest, womit sie sicherlich Recht hatte, solange man die Menschenrechte achtete.

– Ich werde jetzt gehen, Erna, ich will noch was erledigen. Das Gespräch fand ich sehr anregend. Ich wünsche alles Gute.

– Du wirst heute noch was Außergewöhnliches erleben, rx.

– Im Verzicht liegt die Größe. Mir reicht jedenfalls, was ich bis jetzt erlebt habe. Ich will dir aber nicht widersprechen. Der Tag hat ja noch 30 Minuten Zeit mir etwas zu bieten. Also dann. Shalom.

Der Bierverkäufer lächelte schon wieder – oder immer noch. Egal. Ich mochte ihn einfach nicht.  …

ⓒ by rh 09/11

 

aus: rx, Mini-Rock-Stories

Kategorien:Poetisches

Vigilare

September 18, 2011 Hinterlasse einen Kommentar

Mit auffallend unfreudiger Miene verkündet Angela Merkel in ihrer regelmäßigen Videobotschaft [als PDF, barrierefrei,  (49,7 KB)*]: „In der nächsten Woche freuen wir uns darauf, dass Papst Benedikt 16. nach Deutschland kommt.“

Das ist genau die Janusköpfigkeit der Kanzlerin, Ausdruck ihrer Begabung zur Doppelzüngigkeit, die wir von ihr kennen. Sie denkt. Sie denkt, „… es sei wichtig, die Einheit der Christen in unserer Zeit wieder zu betonen, denn die Säkularisierung schreitet voran…“. Welche Einheit sie meint, darüber schweigt sie. Ebenso darüber, was sie mit Religion meint. Nur, dass diese Religion die Voraussetzung für die Unantastbarkeit und Unteilbarkeit der Würde des Menschen ist. Sie versteht den Menschen als Geschöpf Gottes, was sie und ihre Freunde in ihrem politischen Tun leitet. Schön wärs. Sie fährt nämlich fort: „Wir werden als Politiker auch immer ein klares Zeichen dafür setzen, dass im Namen von Religion keine Gewalt ausgeübt werden kann. Egal aus welcher Richtung dies kommt.“ Es mag billig von mir sein, erneut darauf hinzuweisen, dass der Kriegseinsatz des deutschen Militärs am Hindukusch von vielen Nichtchristen durchaus als Gewalt gegen Menschen gesehen wird. Der Traum von brunnenbauenden deutschen Soldaten, von Entwicklungungshelfern in Uniform, die die Sicherheit Deutschlands gewährleisten, ist auch für unkritische Beobachter lange ausgeträumt. Spätestens seit den offenen Worten des ehemaligen Bundespräsidenten Köhler gibt es um die Motivation der deutschen Militärexpedition keine Diskussionen mehr: Geoökonomie. Genauso wenig um die Vergeblichkeit der Unternehmung. Sehen wir einmal davon ab, dass Waffen- und Rüstungsindustrie national, wie weltweit von derartigen Einsätzen profitieren. Bliebe noch zu klären, was Frau Merkel mit dem Begriff Gerechtigkeit meint?

 

Nun aber zum Papst, bzw. zum Papstbesuch, auf den sich die Kanzlerin so freut. Das ist eine Promotion-Tour. Schauen wir uns die extra für diesen Zweck geschaltete Website „www.papst-in-deutschland.de“ an, dann fällt zuallererst auf, dass es zahlreiche Links und Hinweise zum Shoppen gibt: Ticketshop, Online-Shop, Spenden für Ostafrika, Papstbank(? Ich werde demnächst auch meine Sessel und Hocker in Ebay vertickern. Stay tuned to get the snip!). „Wo Gott ist, da ist Zukunft!“, heißt das Motto, „Wo Benedikt ist, da ist Reibach!“, möchte ich ergänzen. Hat sich also nicht so viel verändert in den vergangenen 1500 Jahren – zumindest nicht auf diesem Gebiet. Vom Stellvertreter Christi, Nachfolger der Apostelfürsten und Diener der Diener Gottes erfahren wir, dass sein Wahlspruch „Cooperatores veritatis“ (Mitarbeiter der Wahrheit!) lautet. Den entsprechenden Hintergrund bildet der dritte Brief des Johannes, in dem dieser mit den entsprechenden Worten die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft an den christlichen Brüdern beschreibt. Mit dem Wort ,Wahrheit‘ ist folglich keine rationale oder wissenschaftliche Wahrheit gemeint, sondern die christliche Botschaft. Der oberste katholische Interpret dieser Wahrheit ist Benedikt, mit urkundlich festgestellter Unfehlbarkeit (1. Vatikanisches Konzil 1870). D.h., er kann sich nicht selbst widerlegen, oder wie Hans Scheibner es formulierte: „Und wie er (der Papst) sich auch irrend müht, er irrt, wenn er sich irren sieht.“ (aus dem Gedächtnis zitiert). Vom Unfehlbarkeitsdogma machte allerdings nur Pius 12. Gebrauch, als er 1950 beschloss und verkündete, dass Maria leiblich zum Himmel gefahren sei, dass will ich nicht verschweigen. Dennoch frage ich mich, ob die von der Kanzlerin festgestellte Säkularisierung angesichts dieser Haltung der katholischen Kirche zu Vernunft und Reflexionsvermögen nicht eine intellektuelle Notwendigkeit darstellt. Von der Sexualpolitik [www.derpapstkommt.de] und überhaupt der Mittelalterlichkeit des römischen Glaubenssystems will ich gar nicht reden.

Blasphemische Collage

Soeben kommen die Wahlergebnisse Berlins rein. Vielleicht gibt es, zumindest partiell, doch noch ein wenig Hoffnung in die Urteilskraft deutscher Wähler. Se não quiser, não aceite.

Kategorien:Jigsaw

Rösler und die „Welt“: Pfui Spinne!

September 15, 2011 Hinterlasse einen Kommentar

Gab es Denkverbote? Kurz-, mittel- oder langfristig? Röslers Auslassungen in einem Beitrag für die „Welt“ geben darüber trotz vollmundigen Auftretens keinen Aufschluss. In einem solchen Fall sprechen wir von Populismus. Von „unzureichenden Konsolidierungsbemühungen“ schwafelt der Wirtschaftsminister in Zusammenhang mit Griechenland. Weiß er, wovon er spricht? Hat er sich die Situation in Griechenland angeschaut? [Griechenland in der „Todesspirale“]

Rösler übt sich im Schulterschluss mit der „Welt“ und möchte am liebsten das volle neoliberale Programm beim Umbau kompletter Staaten angewandt sehen.

Eigentlich bin ich ein harmoniebedürftiger Mensch und wünsche niemandem etwas Böses. Aber als ich mir eben vorstellte Röslers Eltern bekämen die Rente gekürzt, er selbst das Gehalt, würde dann arbeitslos (Opfer des sich schlanker machenden Staats!), bekäme folglich nur noch ein gekürztes Arbeitslosengeld und könnte die Miete seiner Einraumwohnung nicht mehr zahlen, da hatte ich richtig Spaß.

Pfui Spinne, das ist doch gar nicht das Problem, oder? Ja und nein. Die Einzelschicksale verdichten sich zu einem Gesamtbild. Die Bürgerinnen und Bürger der europäischen Südstaaten werden zu Opfern deregulierter Finanzmärkte und der davon abhängigen Politik.

Zumindest bei den Lesern der Online-Ausgabe der Welt hatten der smarte FDP-Vorsitzende und seine Zeitung Erfolg (15.09.2011, 15:30):

Auf diese Weise kommt dann noch die Prise Nationalismus in das abscheuliche Gebräu, das uns Rösler hier auftischt. Eine Attitude, die ich bei der FDP schon länger wahrnehme (insbesondere bei Westerwelle und früher Möllemann), und damit bin ich nicht so alleine: [http://de.wikipedia.org/wiki/Naumann-Kreis, http://www.udo-leuschner.de/liberalismus/fdp2.htm, http://atonal1.blog.de/2011/01/28/ns-vergangenheit-holt-fdp-essen-10451012/, lesenswert auch: http://www.heise.de/tp/artikel/32/32336/1.html].

Rösler kann so viele Denkverbote verbieten wie er will, er und seine Partei bleiben auf penetrant unangenehme Weise eindimensional. Das ist neben populistischem Geschwafel und Nationalismus noch eine der Gemeinsamkeiten mit der Springerpresse.

Kategorien:Jigsaw

Bundeskanzlerin arbeitet erfolgreich an der Pervertierung von Politik

September 4, 2011 Hinterlasse einen Kommentar

„Wir leben ja in einer Demokratie…“. Aus dem Munde unserer Bundeskanzlerin klingt das, wie eine Entschuldigung. Als hätte sie meine beiden zuletzt veröffentlichten Beiträge (Quo Vadis? und disservizio: sale e pepe) gelesen und als Aufforderung verstanden sich zu positionieren, sagt sie mit aller Deutlichkeit, wo sie hingehen will:

“Wir leben ja in einer Demokratie und das ist eine parlamentarische Demokratie und deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments und insofern werden wir Wege finden, wie die parlamentarische Mitbestimmung so gestaltet wird, dass sie trotzdem auch marktkonform ist.” ([http://www.nachdenkseiten.de/?p=10611], es lohnt sich, den Originalsingsang Merkels anzuhören, dann wird ihre Botschaft noch deutlicher (ab 1:30 min): [DLF Podcast]. Beim ersten Lesen dachte ich: naja, sie schwächt ihr Ansinnen immerhin durch das Wörtchen „trotzdem“ ab, beim Hören wurde mir dann klar, dass sie ihre Forderung dadurch sogar verschärft!).

Merkel fordert noch etwas leise, aber durchaus bestimmt das Gegenteil von dem, was Willi Brandt einst wollte (Mehr Demokratie wagen!): Den Markt, die Märkte will sie nicht der Demokratie anpassen, nein, sie proklamiert die Umkehrung. Angekommen in der Postdemokratie! Ziel: Diktatur des Ökonomieschwachsinns und der Schwachsinnsökonomie. „Die Märkte haben immer Recht“ (Trichet). Ich hatte ja mal vorgeschlagen das Wort Märkte durch Raffzähne zu ersetzen [Sleaze Factor: Die Raffzähne sind gut aufgestellt!], das klingt im aktuellen Zusammenhang dann so: „…die parlamentarische Mitbestimmung so gestalten, dass sie raffzähnekonform ist…“ Diktatur der Raffzähne. Welcome in the jungle.

Nicht die Märkte, nein, ich bin beunruhigt. Nicht, weil die Kanzlerin sich diese Ehrlichkeit leistet. Vielmehr, weil es in diesem Lande keinen Aufschrei gibt, keine Empörung, keine Wut- und Zornesausbrüche. Wo ist die Opposition, wo sind die Gewerkschaften, wo die Kirchen, wo die Medien, die Sturmgeschütze der Demokratie??? Die Studenten, die Intellektuellen, die Meinungsmacher, sie alle schweigen und arbeiten mit an der Kapitulation vor der Pervertierung der Politik. Die sogenannten „Märkte“ (ich kann das Wort nicht mehr hören und will es am liebsten auch nicht mehr lesen) dienen nicht den Menschen, die Menschen dienen dem Markt! Endsieg.

 Bild ausgeliehen von: [http://www.stupidedia.org/stupi/Datei:Munch_der_Schrei.jpg]

Fünf Minuten nach der ersten Veröffentlichung dieses Artikels entdeckt: Oskar Lafontaine:“Wir leben in der Tat in einer Diktatur der Finanzmärkte, die Politik hechelt den Vorgaben der Finanzindustrie nur noch hinterher. Die Parlamente sind entmachtet.“ [http://www.jungewelt.de/2011/09-03/011.php]

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disservizio: sale e pepe

Bild ausgeliehen von: [http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/7/72/Grautoene.png]

In meinem letzten Beitrag beschreibe ich den Dualismus zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Neoliberalismus und Sozialismus (oder wie immer mensch das nennen will, wenn die Bedürfnisse und Interessen der Vielen größeres politisches Gewicht haben, als die der wenigen Einzelnen). Meine Darstellung der Differenzen zwischen den beiden Lagern ist so angelegt, als ob keine Vermittlung möglich sei, als ob es zwischen Schwarz und Weiß keine Zwischentöne (ein lebendiges Asphaltgrau oder ein fröhliches Anthrazit beispielsweise – womit auch Loriot die Ehre gegeben sei) geben könnte. Genau. So sehe ich das.

Was ist mit dem Konservativismus?

Der Kapitalismus, dessen Protagonisten in der Vergangenheit Verantwortung für ihre Arbeiter und ihre Region gesehen und in sozialer Verpflichtung wahrgenommen haben, hat nie wirklich existiert. Die ins Feld geführten Rosenthal, Zeiss, Bosch (und sicher noch einige andere) waren immer schon die Ausnahmen von der Regel. Und selbst die sind nicht mehr denkbar, weil die Firmen heutzutage von unpersönlichen und weit entfernten Hedgefonds geführt werden, deren anonyme Manager keinerlei Anbindung mehr an arbeitende Menschen und/ oder ihre Umgebung haben und ihre Entscheidungen aufgrund mysteriöser Zahlengegenüberstellungen oder esoterisch anmutender Kennziffern treffen. Damit will ich sagen, dass der Konservativismus, wie ihn CDU und CSU vorzugeben scheinen, keine Alternative zur herrschenden Ideologie des Neoliberalismus darstellt.

Was ist mit der Sozialdemokratie?

Der neoliberale Geist durchweht den Kapitalismus allüberall, manifestierte sich in den letzten 30 Jahren durch die fortschreitende Globalisierung nachhaltig und fand (spätestens, eigentlich bereits durch Milton Friedman und die Chicago Boys und ihr Engagement in Chile) durch die Fehlentscheidungen der europäischen Sozialdemokratie (vor allem Blair und Schröder) ebenso nachhaltig den Weg in die Politik, etablierte sich gar als Mainstream-Ideologie und wird von den meisten Politikern fast aller Parteien (noch bilden die Linken die Ausnahme!) vertreten. Damit will ich sagen, dass die Sozialdemokraten und die Grünen keine Alternative zum Neoliberalismus mehr sind. Und das wiederum bedeutet, dass es kein Grau zwischen Schwarz und Weiß mehr in Deutschland zu finden ist.

Bietet die Mainstreamphilosophie Alternativen?

Nun gut, vielleicht ist es lohnenswert einen etwas unpragmatischeren Weg zu gehen und zu fragen, ob es eine zumindest theoretische Lösung zwischen Neoliberalismus und Sozialismus geben kann. Nein. Erstens ist eine nur theoretische Möglichkeit völliger Quatsch. Zweitens sind die Denkansätze, die dafür auf den ersten Blick geeignet erscheinen könnten, Beck etwa, oder Habermas, beim zweiten Hinschauen und im Hinblick auf die Machtfrage derart inkonsistent und permeabel, dass sie nicht als Alternative taugen. Sie verneinen eben nicht das neoliberale Menschenbild, dass uns alle als Kostenfaktoren und funktionale oder dysfunktionale Risikoträger sieht. Die Machtfrage wird überhaupt nicht gestellt. Dabei ist die Durch- und Umsetzung von politischen Entscheidungen vor allem ein Problem der Macht und nicht eine des Diskurses oder des bestmöglichen Konsenses (den kann es natürlich auch geben, trotzdem steht die Machtfrage vor allem).

 Investition in Bildung ist rentabler, als Steuergeschenke für Reiche!

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Quo Vadis?

August 20, 2011 1 Kommentar

Vielleicht ist es die Frage nach der Zukunft, nach dem, wo wir hin und sein wollen, vielleicht ist es diese Überlegung, die gegenwärtige Entscheidungen bestimmen sollte. Dieses Vorgehen ist in vielen Bereichen unseres Lebens derart normal, dass wir uns schon gar keine Gedanken mehr darüber machen. Vom Hausbau über die Herstellung technischer, eigentlich aller Produkte entscheidet das Ziel, nämlich das fertige Produkt über den Produktionsprozess. Beim Bergsteigen wird die Route vom Ziel her gedacht (daran ändert auch die Berücksichtigung von strategischen Zwischenzielen nichts!), der Trainer sucht Spieler, die in sein Konzept passen, der Therapeut fragt dich, wo du in fünf Jahren stehen willst und was du bereit bist zu tun, um dorthin zu kommen. Eine solche Orientierung am Ziel, an der „Vision“, ist der aktuellen deutschen, ja vielleicht sogar der europäischen und internationalen Politik ziemlich fremd. Statt die Zukunft zu gestalten werden zahllose (aber wenig erfolgsversprechende!) Versuche gemacht, die Folgen mangelnder oder falscher Entscheidungen der Vergangenheit zu korrigieren. Das sehen wir vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Dass der globale Sparwahn mitten in die Rezession führt und damit in die nächste globale Krise, das kann ein Kindergartenkind erkennen und erklären. (Wer weiß, möglicherweise gibt es ja bei den aktuellen Entscheidern doch eine für uns unsichtbare Absicht hinter diesen Entscheidungen? Darauf kommen wir noch.)
Zäumen wir das Pferd, so lange es noch lebt, doch mal von vorne auf, nämlich von den Zielen her. Was sind unsere Visionen? Eine solidarische Gesellschaft vielleicht, mit Bildungschancen für alle Kinder, ohne Diskriminierung von Minderheiten, mit funktionierenden und erschwinglichen Leistungen öffentlicher Daseinsfürsorge (Wohnraum, Energie- und Wasserversorgung, öffentlicher Verkehr, Gesundheitdienste und Pflege, Bildung, Kommunikation) in einem Europa gleichberechtigter Völker? Oder wollen wir ein Land, in dem ein Drittel seiner Bürger von der Barmherzigkeit der Tafeln leben muss, in dem sich nur noch Privilegierte Gesundheit leisten können, in dem du mehr als einen Job brauchst, um dich und deine Familie durchzubringen, in dem es eine Zwei- (oder mehr) Klassengesellschaft gibt? Und in dem die Bildungschancen der niederen Kasten von der Bereitschaft zum materiellen Verzicht der elterlichen Versorger abhängt? Wollen wir ein Land, in dem hohe Mauern mit eingearbeiteten Glasscherben, videoüberwacht und privatpolizeigesichert die Reichtümer der Eliten hüten, während davor und ausgeschlossen ein Viertel seiner Bewohner die Mülltonnen nach Essbarem und Pfandflaschen durchwühlen? Ein Land, dass sich wirtschaftliche Vorteile mit Militärkraft erkämpft? Dass sich einen guten Teil des Wohlstands durch den Export von Waffen sichert? Das Gemälde ließe sich noch weiter ausschmücken. Schwarz-weiß. Weiß-schwarz, um der obigen Beschreibung zu folgen. Du bist der Meinung, ich übertreibe? Das glaube ich ganz und gar nicht. Wer die Steuern für Reiche senkt oder ihren Steuerbetrug juristisch erleichtert, statt ihn als Straftat ernsthaft zu verfolgen, zielt auf schwarz. Wer eine Beschäftigungspolitik verfolgt und eine entsprechende Stimmung im Lande erzeugt, die Arbeitslosigkeit als selbst zu verantwortende Untat, fast als einen Akt krimineller Energie erscheinen lässt, der zielt auf schwarz. Wer den Auftrag öffentlicher Daseinsvor- und fürsorge privatisiert und der Profitgier der freien Märkte überlässt, der zielt auf schwarz. Wer das Gewinnstreben Einzelner nicht in die Bahnen lenken will, die zumindest teilweise der Gemeinschaft zugute kommen, ebenso. Wer die Kapitalmärkte nicht reguliren will …, den Lobbyismus nicht eingrenzen …, die Energieversorgung nicht dezentralisieren …, die Menschen am Mehrwert ihrer Arbeit nicht beteiligen …, den Individualverkehr nicht begrenzen …, die Bürger nicht an wichtigen politischen Entscheidungen beteiligen … will …

… zielt auf Schwarz. Und zwar nicht aus Versehen. Sondern mit Absicht.

Der Weg zum richtigen Ziel ist möglicherweise keine Autobahn.

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Gemeinsam sind sie unausstehlich!

Ein bisschen hatte ich es ja in meinem letzten Beitrag angekündigt. Die Nachdenkseiten, genauer: Albrecht Müller [http://www.nachdenkseiten.de/?p=10276], inspirierte mich über die Schnittmengen von Neoliberalismus und Faschismus nachzudenken und nach Belegen zu suchen, die seine Behauptung, „Die herrschende Ideologie, der Neoliberalismus, enthält konzeptionell und in seiner Wirkung typisch faschistische Elemente“ untermauern, da auch ich (spontan und ohne in die Tiefe zu gehen) davon überzeugt war, dass es zahlreiche Berührungspunkte gibt. Zunächst dachte ich an eine tabellarische Übersicht, um die Gemeinsamkeiten beider Glaubensrichtungen aufzuzeigen. Dann musste ich feststellen, dass die (weniger die Gemein- mehr die) Gleichheiten sich durchaus in Grenzen halten. Dennoch seien sie erwähnt: 1. das Führerprinzip und die strenge Hierarchie faschistischer Wunschträume vertragen sich durchaus mit dem Absolutheitsanspruch der ,Elite‘ im neoliberalen Sprachgebrauch und rechtfertigen eine Mehrklassengesellschaft mit deutlicher Machtverteilung und antidemokratischer Konsequenz, 2. der (quasi-)religiöse Charakter ist ebenso ein sicheres Kennzeichen beider Ideologien (das impliziert das Spielen mit den Ängsten der Menschen), wie 3. die militant antikommunistische / -marxistische / -sozialistische Haltung. Das klingt zwar relativ eng verbunden, kann es angesichts der Unterschiede zwischen Beiden aber eigentlich nicht sein. Während der Faschismus sich auf die ,mächtigen‘ Wurzeln irgendwelcher mythischen Vergangenheiten beruft, an den Gemeinschaftssinn und an die Emotionalität seiner Anhänger appelliert oder andockt, ist der Neoliberalismus völlig geschichtsfern, individualistisch und spricht die Ratio seiner Gefolgsleute an (-dass Letzteres freilich doch auf emotionaler Ebene passiert, ist eine andere Sache!).

Was bleibt, wenn das Schöne zerstört wird?

Bedeutet das, dass ich mir folglich keine Sorgen machen muss? Dass sich beide Ideologien gegenseitig neutralisieren, dass sie Konkurrenten sind im Kampf um Macht und Vorherrschaft? Ganz und gar nicht! Beide Glaubensrichtungen sind (mit der Unterstützung einschlägiger Medien beispielsweise) in der Lage eine brandgefährliche Symbiose einzugehen. Der Neoliberalismus kann das eklatante wirtschaftstheoretische Defizit des Faschismus ausgleichen, der wiederum die Kälte des scheinbar so rationalen Egoismus durch Zusammengehörigkeitsgefühl, die Wärme zelebrierter Gemeinschaftlichkeit kompensiert und die Sicherheit eines freilich unerbittlichen Polizeiapparats. Pinochet, Tea-Party, Sarrazin, Broder, Sloterdijk sind Beispiele für verschiedene Facetten solcher Synergien. Ungeachtet real existierender Dissonanzen vereinen sie Merkmale dieser, wie jener Anschauung. Die Verachtung des demokratischen Staates, seiner Organe und seiner sozialen Errungenschaften (z.B. Integration) wird mit der Angst vor „andersartigen“ Gruppen verbunden, die Natürlichkeit einer Elitenführerschaft (mit dem ebenso natürlichen Recht auf Privilegien) wird mit der Gottgegebenheit des Wettbewerbs und der Auslese, die durch den Markt oder die Evolution erfolgte begründet. Schonung(1) für die selbsternannten Leistungsträger wird gefordert, Bestrafung für die Verlierer im Kampf um wirtschaftlichen Aufstieg. Pseudowissenschaftliche Argumente werden mittels bereiter Medien unters Volk gestreut, Halbwahrheiten und Volllügen. Angst wird geschürt: „Oh Herr, lass mich nicht werden, wie diese armen Schlucker dort und nicht wie die Kopftuchfrauen …“.  Der Unterschied zwischen subtiler Indoktrination auf der einen und lauthalsstarrigem Gegröle auf der anderen Seite mag sie scheinbar unterscheidbar machen, die Radikalität in der Verfolgung ihrer Ziele (Alternativlosigkeit!) eint sie.

Das ist die Gefahr. Und ähnlich, wie die Industriellen und Adligen zu Zeiten des Niedergangs der Weimarer Republik, glauben einige Neoliberale, sie könnten sich aus dem faschistischen Werkzeugkasten bedienen, ohne dafür zahlen zu müssen. Wer aber die Demokratie diskreditiert, wer soziale Ungerechtigkeit und Ressentiments sät, wird Wut, Empörung und Aufstand ernten. Im besten aller vorstellbaren Fälle!

(1) Dagegen Rilke: Es wäre schlecht um das Große bestellt, wenn es irgend der Schonung bedürfte.

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Nachtrag: Ziemlich gruselig!

Juli 29, 2011 1 Kommentar

Es ist schon ziemlich gruselig. Eigentlich war ich auf der Suche nach Aussagen von und über Walter Lippmann, einem der geistigen Väter des Neoliberalismus, um Albrecht Müllers Behauptung „Die herrschende Ideologie, der Neoliberalismus, enthält konzeptionell und in seiner Wirkung typisch faschistische Elemente“ [Die Verschiebung der Achse nach Rechts ist das Ergebnis eines Zusammenspiels von solchen, die sich Demokraten nennen, mit der Rechten – verbunden über „kommunizierende Röhren.“] zu untermauern. Ich bin nämlich überzeugt davon, dass Müller Recht hat. Ich googelte also ,Lippmann‘ und landete, ohne es zu wollen, nach wenigen Klicks auf den Seiten rechter, neonazistischer Stimmungsmacher. Das ist natürlich kein Beleg für nichts. Dennoch war der Besuch dieser Seiten [„freidenkertv“, „Skeptizissmus Deutsch“, „As der Schwerter“, „Gates of Vienna“; ich verlinke das nicht, weil ich die Verantwortung zum Aufsuchen dieser Seite niemandem nehmen werde!] erhellend oder vielleicht besser: ent-täuschend, im Sinne der ‚Aufhebung einer Täuschung‘. Zum einen waren sich wohl einige Mitglieder der Community nicht sicher, ob der Anschlag von Oslo und Utoya von einem, ihnen bekannten Gesinnungsfreund verübt wurde. Zum anderen gab es unglaublich blöde (nicht sprachlich!) Ausführungen zur Überlegenheit der weißen Rasse. Und es gab die Verteidigung Sarrazins gegen die ,Multikulturalisten‘ und ,Sozialisten‘, die ,Gutmenschen‘ und ,politisch Korrekten‘. Offenbar haben die Begriffe in diesen Kreisen den Rang von Schimpfwörtern. Diese Verteidigung Sarrazins ist nicht einfach nur „Beifall von der falschen Seite“, sie hat den Charakter und den Wert eines Schulterschlusses. Wenn ein Sarrazin, ein Gauck, ein Broder oder wer auch immer, das nicht erkennen (vorhersehen, wissen, einsehen, zur Kenntnis nehmen) will, dann ist das mit Naivität oder der Lust an der Provokation nicht mehr zu erklären und schon gar nicht mehr zu rechtfertigen. Dann wird mit höchst fahrlässiger Nachlässigkeit (oder doch mit Absicht?) die Arbeit des Teufels getan. Ich bin einigermaßen konsterniert. Solch deutliche Belege für meinen Artikel von heute Nachmittag (siehe unten: „Statements, gehaltene und gehaltvolle“) wollte ich gar nicht finden. Und war auch gar nicht darauf eingestellt, dass das so einfach sein könnte. Ich war überzeugt, dass sich die rechte Bande immer noch im Unterholz der „No-go-Areas“ versteckt und das Tageslicht scheut. Welch ein Irrtum! Der Feind ist mitten unter uns. Und ich fürchte, wir werden ihn nicht mehr am martialischen Klang ihrer Springerstiefel erkennen.

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